Innovative Start-ups und klassisches Handwerk besitzen auf den ersten Blick scheinbar wenig Gemeinsamkeiten. Doch immer mehr Beispiele zeigen: Gründergeist, meisterliche Handwerksqualität und digitale Technologien können sehr erfolgreiche Kombinationen ergeben. So heben sich Handwerksbetriebe vom Wettbewerb ab und gewinnen trotz vieler aktueller Widrigkeiten ein großes Stück Zukunftsfähigkeit.

Die Pflicht ist geschafft – nun wird es Zeit für die Kür

In Sachen Digitalisierung sind Deutschlands Handwerksbetriebe schon ein gutes Stück vorangekommen. Die Mehrheit der Unternehmen besitzt eine eigene Internetseite, nutzt Social Media oder Cloud-Lösungen für die Unternehmens-IT. Schon diese Digitalisierungsbasics wirken für mehr Effizienz und Kundenzuwachs. Bei einer Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) gaben rund 40 Prozent der Handwerksunternehmen an, auf digitalen Wegen zusätzliche Kunden gewonnen zu haben. So stärken die Digitalisierungsmaßnahmen das Geschäft, schöpfen aber längst nicht alle Möglichkeiten aus. Zudem erwächst kaum ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Wettbewerbern, die immer häufiger digital ähnlich aufgestellt sind. Ein echter Unterschied kann jedoch durch neue digitale Geschäftsmodelle auf Basis uralter Handwerkstraditionen entstehen.

Maßarbeit 2.0

Es sind überwiegend junge Handwerkerinnen und Handwerker, die Familienbetriebe übernommen haben und dann wie ein Start-up innerhalb des Unternehmens neue Geschäftsideen gelauncht haben. Da gibt es den Tischler aus Berlin, der seine Kunden im Onlineshop individuelle Möbel nach Maß gestalten lässt. Eine 3D-Simulation zeigt sofort, wie die Möbel in den eigenen vier Wänden wirken werden. Passt alles, gehen die Daten der Möbel direkt in die computergestützte Fertigung und erhalten später von Hand den letzten Schliff. 3D-Technik ist auch in einer anderen Branche beliebt: bei verschiedenen Optikern, die damit neue Angebote entwickelt haben. Dort werden 3D-Scanner und Lasertechnik genutzt, um individuelle, exakt passende Brillengestelle anzufertigen. Oder ein 3D-Drucker stellt Linsen in Sehstärke für Virtual-Reality-Brillen her. Regional sind diese und andere Angebote ohnehin einzigartig, aber durch Onlineshops erweitern viele ihren Geschäftsbereich auch gleich auf die nationale oder internationale Ebene.

Vom Handwerksbetrieb zum großen Unternehmen

Dafür ist Rokstyle das perfekte Beispiel. Das Unternehmen ging vor einigen Jahren als Start-up aus einem Steinmetzbetrieb für Grabsteine hervor – mit einer simplen Geschäftsidee: individuelle Grabsteingestaltung online. Der fertige Grabstein kommt dann nicht von den eigenen Steinmetzen, sondern wird von einem der mehr als 600 Rokstyle-Partner in ganz Europa vor Ort gefertigt und ausgeliefert. Gründer Alexander Hanel ist hier ein internationaler Erfolg gelungen, der aber keineswegs unerwartet kam. Hanel hatte zuvor mit der Hochschule Ansbach in einer Analyse ein vielversprechendes Marktpotenzial für seine Idee festgestellt. Auch andernorts – zum Beispiel in Cottbus oder München – gibt es enge Kooperationen von Handwerkskammern, Unis und jungen Handwerkern, die oft einen akademischen Hintergrund mitbringen, wenn sie Familienbetriebe übernehmen. Mit ihrer Vita stehen sie Gründergedanken und Start-up-Potenzialen viel aufgeschlossener gegenüber als die Elterngeneration, die den Handwerksbetrieb noch ganz traditionell geführt hat.

Das klassische Handwerk hat nach wie vor goldenen Boden. Aber es wird sich auch weiterentwickeln müssen. Denn nur mit den typischen Angeboten auf einem regional begrenzten Raum können zahlreiche Betriebe langfristig nicht überleben. Dazu kommt noch ein weiterer Faktor: die Attraktivität als Arbeitgeber. Nachwuchsmangel bereitet den meisten Handwerksbetrieben Sorgen. Mit einem angesagten Start-up im Haus kann sich das schnell ändern. Das staubige Handwerkerimage verschwindet und stattdessen strahlt ein junges, dynamisches Unternehmen, das viel besser junge Auszubildende, Uni-AbsolventInnen oder Fachkräfte anlocken kann.

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